Dienstag, 3. Juni 2014

Trampen für Fortgeschrittene

So schnell wie in den letzten Tagen waren wir noch nie!
Wir hatten also hatten also unser Aserbaidschan-Visum in der Tasche! So schnell wieder im Hostel und gepackt hatten wir noch nie! Leider mussten wir abermals Olcay zurücklassen, hatten wir doch irgendwie gehofft gemeinsam fahren zu können. Aber wahrscheinlich ist es besser so. Bereits mit dem Klappfahrrad konnte er mit uns mithalten. Wie sollte es nun mit seinem neuen Fahrrad sein? Da führe er wohl uns davon...
Wir fuhren am selben Tag noch bis rund 20km vor die Grenze, rote Brücke, im Süd-Osten des Landes. Uns erwartete ein herrlicher Sonnenuntergang im Westen und ein anrückendes Gewitter im Südwesten. Es war ein tolles Spektakel, welches wir von einer Anhöhe beobachteten, ehe wir pünktlich zum ersten Regenguss das Zelt weiter im Tal aufgebaut hatten.
Der nächste Tag war dann der schnellste... knapp 600km in nur 10 Stunden inklusive Grenzübertritt. Sowohl die Georgier als auch die Aserbaidschani waren unkompliziert. Wir ernteten zwar wie gewohnt viel Kopfschütteln, lachen (ob auslachen oder freudige Teilnahme wissen wir nicht) und Schulterklopfen für unsere Radreise. Dabei haben gerade in letzter Zeit die Routine und unser Selbstverständnis sowie der Kontakt zu den vielen anderen Reisenden gezeigt, dass unsere "Aktion" eigentlich gar nicht so außergewöhlich/überragend/überwältigend ist, bestenfalls interessant.
den einzigen Hinweis den wir von den aserbaidschanischen Beamten bekamen war, dass wir nur fünf Tage zur Verfügung hätten - lächerlich! Nicht nur, dass wir das schon wussten, sondern auch dass das mehr als genug ist: 500km bis Baku und dann 200km bis zur aserbaidschanisch-russischen Grenze!!!
Für 45 Manaten (ca. 45€) fuhren wir bis Baku in einem abenteuerlichen Mercedes Kleinbus. Dabei war sowohl der Zustand des Autos als auch der des Fahrers in bedenkenswertem Zustand. Beide hatten einen Sprung in der Schüssel! Beim Auto war es die gesprungene Scheibe. Beim Fahrer die Fahrweise - wobei die für aserbaidschanische Verhältnisse noch in Ordnung war.
Trampen mit LKWs schien an dieser Stelle utopisch, da alle LKWs für den Transit verplombt waren (konnten wir in einem 15min Dialog mit einem türkischen Fahrer herausfinden; apropos türkisch: damit kommt man in Aserbaidschan ähnlich weit wie mit russisch oder englisch in Deutschland.)
Die Räder spannten wir mit unseren eigenen Gurten und Stropsen oben auf dem Dach fest und beteten!
Doch tatsächlich kamen wir heile in Baku an. Wir hielten unterwegs öfter an, um an einer der vielen defekten Bankautomaten zu versuchen Geld abzuheben, was uns erst im ca. vierten Versuch gelang. Dies war auch notwendig, da der Fahrer unser Geld benötigte um tanken zu können.
5km vor Ankunft gabelten wir den Chef des Fuhrunternehmens auf, welcher das Steuer übernahm und sofort begann den bisherigen Fahrer wüst zu beschimpfen - vermutlich weil er so lange benötigt hat! 6-7h für 500km auf der Autobahn, welche bestenfalls Landstraßenniveau hatte, zum Teil noch in Bau befindlich und in Deutschland wohl dauerhaft auf 60km/h begrenzt gewesen wäre. Aber die Kritik war vollkommen angebracht, wenn man bedenkt, dass der Chef im Stadtverkehr zur RushHour den gleichen Schnitt hinlegte wie unser Fahrer zuvor auf der "Autobahn".
Gegen 19uhr stiegen wir äußerlich unversehrt aus; so auch die Fahrräder.
Beim Versuch aus Baku wieder hinaus zu finden fiel uns ein, dass wir gar kein Kartenmaterial für Aserbaidschan und den russischen Abschnitt bis Astrachan haben - die Route war ja nicht geplant! Aber es war ja prinzipiell easy: nach Norden, raus aus der sengenden Hitze.
Wir kamen am Busbahnhof vorbei und waren umringt von Taxiangeboten nach Xaçmaz (der nächst größeren Stadt vorn der Grenze zu Russland): für eine deutlich kürzere Strecke wurde der doppelte Preis vom dem verlangt was wir noch bis Baku gezahlt hatten. Irre lachend verschwanden wir am Horizont, der Abenddämmerung entgegen. Es war wie ein Bild aus einem der Lucky Luke Comics, nur auf der Autobahn und der damit verbundenden überholenden LKWs. Nachdem weitere Anfragen zum Trampen nach Xaçmaz ins Leere liefen, schlugen wir in der Dunkelheit unser Zelt 30-40m abseits der Autobahn auf und behielten keine bleibenden Schäden.
Am nächsten Morgen fuhren wir weiter aus der Stadt um unsere Trampchancen zu erhöhen. Tatsächlich hielt nach wenigen Minuten die ersten Autos. Und nach 20min in der Sonne stehen, hatten wir unseren Lift gen Xaçmaz! Ein LKW-Fahrer nahm uns mit, die Fahrräder zwischen Anhänger und Fahrerhäuschen eingeklemmt, meines sogar leider etwas unter letzterem, sodass mein eines Hörnchen durch die Erschütterungen flacher und aerodynamischer geschliffen wurde... und wie es sich für den Einstand ins trampen gehört, mussten wir nicht nur nicht zahlen, sondern wurden sogar noch zum Mittagessen in seinem Stammlokal eingeladen. Er war bzw. wir waren die Hauptattraktion, doch aufgrund seines Wissensvorsprung aus einer Stunde gemeinsamer Fahrt und der Sprachbarriere konnte er am meisten über uns erzählen. Nach der Mittagspause ging es mit ihm weiter. Nur hatte er nun unser Deutsch-Russisch-Wörterbuch in der einen Hand, in der anderen eines von drei Handys, die abwechselnd oder gleichzeitig klingelten und bedient wurden, während er die langsamen LKWs überholte. Im Prinzip das bekannte Bild, nur fühlten wir uns in dem großen Truck sicherer als noch im Mercedesbus.
Die letzten 70km bis kurz vor die Grenze fuhren wir dann einfach mit dem Fahrrad.
So hatten wir binnen zwei Tage das ganze Land durchquert - mit Fahrrad ;)
Der Tag des Grenzübertritts und unserer lang ersehnten Russlandeinreise ist ein Tag voller polizeilicher Machtdemonstration und Machtmissbrauch.
Die Nacht hatten wir auf irgendeinem Feld kurz vor der Grenze verbracht (Karte). Die Autobahn für die letzten Meter entpuppte sich als eine im Bau befindliche Schotterstraße.
Das Land zu verlassen dauerte verhältnismäßig lange und war geprägt von (so aus Sicht eines naiven-das-große-Ganze-nicht-überschauenden Radfahrers) sinnloser Kontrollwut. Die Autos wurden komplett ausgeladen, das Gepäck gescannt, das restliche Auto durchsucht. Unvorstellbar, dass dies vor nicht all zu langer Zeit auch an jeder  innereuropäischen Grenze üblich war. Und das Ganze war so überflüssig! Alle duften am Ende passieren, niemand wurde verhaftet, nichts wurde konfisziert... Doch die Beamten waren nett, es gab das bereits bekannte Schulterklopfen, Kopfschütteln etc. und (wer hatte das gedacht, außer die neuen politischen Rechten im europäischen Parlament): "Rassismus verbindet die Völker" (ein auf einer Radreise befindlicher Politikstudent). Während ich mit unseren Pässen anstand (die Lieblingsbeschäftigung des Tages), scherzte Mo mit dem Obermacker! Er erklärte ihm die geplante Route, unter anderem das Ziel China damit, dass er die Augen zu Schlitzen verzog. Das verstand der Obermacker, lachte und ein Freund war gewonnen
Unsere wehleidige Miene und das freundliches Scherzen brachte uns den gewünschten Erfolg. Das komplette Fahrrad mit Gepäck passte nicht durch den Gepäckscanner. Der Unteroffizier forderte uns auf alles abzuladen und einzeln auf das Band zu legen. Dieses Prozedere hätte uns wohl wieder 30min-1h gekostet. Da kam Mos rassistischer Kumpel, verwies die Unteroffiziere in ihre Schranken, denn er erkannte mit seinem erfahrenen Auge, dass in dem Gepäck von Freunden nichts von Interesse zu finden sein würde und erklärte unser Gepäck für durchsucht!
Wir waren also heil aus Aserbaidschan hinaus genommen, mussten bis dahin nur noch einigen neugierigen Beamten unsere Passport vorzeigen. Die intelligentesten von denen fragten mit dem Passport in der Hand woher wir denn seien!?
Angenommen im Niemandsland gab es kein zurück mehr! Doch leider erklärte uns der erste russische Offizier, dass dieser Grenzübergang nach Russland für Fahrräder verboten sei. Wir waren gefangen im Niemandsland - für 10min. Da nahm uns ein Abschleppwagen mit. Nach etlichen weiteren Passkontrollen und insgesamt 4h, bei denen wir die meiste Zeit einfach sinnlos warteten, waren wir im gelobten Land - zumindest öffnete der letzte Grenzpolizist das Tor genau so auf.
Die ersten Menschen auf die wir trafen unterbreiteten uns ein Angebot für 100$ uns 250km zu fahren. Es folgte unsere bekannte Reaktion, nur dass es noch nicht dämmerte. Wir fuhren, Grenzerfahren wie wir waren, etwas von der Grenze weg, um die Chance auf unverplompte LKWs zu erhöhen. Doch es kam alles ganz anders.
Was nun folgte macht mich in keinster (naja vielleicht ein wenig) Weise glücklich ausgenutzt zu haben. Das Krankenkassen/Privatkassensystem in Deutschland muss dagegen als äußerst gerecht beurteilt werden:
Wir standen 10min an einem idealen Platz zum trampen. Die LKWs zischten an uns vorbei, als plötzlich ein Lada anhielt und ein dicker Mann in rotem Hemd mit schönem Pornobalken ausstieg. Es fehlte nur noch die große Sonnenbrille und er sähe aus wie ein aufgegangener Magnum. Zunächst interessierte er uns nur peripher, da sein kleiner Wagen zu klein für unsere Masse an Gepäck und Fahrrädern war. Doch (unsere Höflichkeit haben wir an anderer Stelle bereits geschildert) erteilten wir ihm die Erlaubnis uns anzusprechen. Es sollte unsere beste Entscheidung an diesem Tag gewesen sein.
Zunächst unterstütze er uns beim anhalten von Autos. Der erste Transporter der anhielt wurde solange bequatscht, bis er uns mitnahm. Der Magnum folgten uns in seinem Lada. Nach 30km endete die Reise - fürs erste... der Magnum enttarnte sich als Straßenpolizist, was ihm wohl den nötigen Respekt verschafft hatte, der Transporterfahrer zu überzeugen uns mitzunehmen. Da leider der Transport nicht weiter fuhr, wies uns der Magnumpoliszist an 10km bis Derbent zu fahren - mit Fahrrad! Ungewöhnliches Gefühl: so langsam, so empfindlich - passt gar nicht zu unserem in denn letzten Stunden abgeguckten befehlendem Verhalten! Wir sollten also mit dem Fahrrad weiter und an der nächsten Polizeistation halten. Gesagt getan! Was eine Polizeistation. Hier in der Gegend Dagestan sind an größeren Kreuzungen stabile Polizeistationen/-festungen deren Bewacher mit großen Gewehren ausgestattet sind. Die Polizisten meinten die Gegend Dagestan sei gefährlich, wegen der hiesigen Menschen; ob sie sich selbst damit meinten?
Wir trafen unseren Magnum wieder und er gab uns Geleitschutz durch den nächsten Tunnel und den folgenden 5km bis zur nächsten bewachten Station. Dort übergab er uns seinen Kollegen und verabschiedete sich. Die Kollegen hatten die Aufgabe unseren nächsten Lift zu organisieren. Mit Schlagstock, Trillerpfeife und Gewehr ausgerüstet hielten sie einen Transporter an. Wir hatten ein schlechtes Gewissen: sollten nun die Bürger gezwungen werden uns mitzunehmen? Der Transporter war voll.
Als nächstes hielten sie einen Reisebus an. Die Fahrer wurden "überredet" uns mit zunehmen - kostenlos!
Mit Sicherheit sind die Menschen hier gefährlich! Wir kennen bei der polizeilichen Willkür hier auch den Grund dafür; es ware verwunderlich, wenn man da nicht gefährlich werden würde! Doch was beschwere ich mich? Es war doch für einen guten Zweck - für uns!
Ja wäre die Polizei in Deutschland mal so hilfsbereit wie hier!!! Aber dafür müssten sie Regeln brechen, die es hier gar nicht zu geben scheint. Angehalten wurden nicht die Autos mit waghalsigen Manövern direkt vor der Polizeistation, sondern nach gut dünken Freunde zum Scherz, Feinde aus Schikane!
Aber wie gesagt, ohne polizeiliche Mithilfe hätten wir wohl nicht so schnell und so unkompliziert einen "freiwilligen" (James T. Kirk) Lift bekommen. Gepäck nach unten, Fahrräder in den Innenraum im Gang und ab ging die Post! Die Fahrweise war die bekannte: Überholvorgang auf der Landstraße ist easy, eine Hand am Handy, eine am Schaltknüppel, eine... Moment ein Mensch hat doch nur zwei Hände...
Immer wieder über die unwirkliche Situation lachend fuhren wir gen Norden. In Makhachkan gab es einen Zwischenstopp, die Passagiere wurden gewechselt, der Fahrer und die Fahrweise dagegen nicht, die Räder kamen nun auch nach unten zum Gepäck. War wohl doch zu gefährlich oben. Dies haben die Fahrer gemerkt, als bei einer Vollbremsung irgendein riesen metallener Anlasser nach vorne rollte/flog.
Wir klärten, dass wir nicht bis mach Sotschi (dem Reiseziel) oder Grozny mitfahren wollten, sondern nur bis Khasavyurt. Wobei Sotschi wohl auch reizvoll gewesen wäre...
Die Nacht verbrachten wir dann direkt an der Straße. Das Zelt im Dunkeln gegen Mitternacht aufgebaut. Am nächsten Morgen ging es erst einmal darum, die Schäden des vorherigen Tages zu beseitigen. Ich hatte einen Schutzblechschaden und Mo hatte im Dunkeln ein Schlagloch übersehen und musste nun die 8 wieder raus bekommen. Wir kamen daher erst gegen 12 los. Wild entschlossen, nun selbst zu trampen und den Polizeistaat nicht auszunutzen, sprach uns der Tankwarter an und meinte wir sollten doch lieber ein Stück zurück und die Polizei bitten, uns die Autos anzuhalten. Angesichts des starken Windes und der scheinbaren Legalität des Polizeitrampings taten wir wie geheißen!
Man organisierte uns abermals einen Reisebus, der uns zu einem 300km näher gelegenen Posten brachte, wo wir an die nächsten Innerrussischen Grenzbeamten übergeben wurden. Die organisierten uns dann ein Auto aus Bulgarien, welches seit vier Tagen unterwegs aus Varna war - auf den Weg nach Astana... ganz bis dorthin wollten wir nun nicht, auch wenn es verlockend war. Aber sie brachten uns bis 30km vor Astrachan. Da wir uns verfahren hatten kamen wir erst un 2:00 nachts an und bauten abermals im Dustern das Zelt auf - unter einem phantastischen Sternenhimmel!
Die Nacht war wieder windig - kaspische Meerwinde, so sagte man uns, scheinbar normaler Zustand! Am nächsten morgen kurz bevor wir uns daran machten, das Zelt abzubauen, gab eine der Zeltstangen unter der Last des Windes nach. In Astrachan müssen wir also Reparaturen organisieren. Wir gaben auf dem Weg dorthin auch dem Wind nach, da wir die letzten 30km nicht mit 10km/h fahren wollten und hatten Glück, dass wir mit einem selbst organisierten Transporter ins Stadtzentrum mitgenommen wurden.
Jetzt konnten wit das erste Mal wieder Geld abheben und hatten sofort freien Wifi-Empfang. Die Chance wird natürlich gleich genutzt, euch auf den neusten Stand zu bringen. 
Achso: das bedeute, wir haben es 1 Tag vor Beginn des Kasachstan Visums tatsächlich kurz vor die Grenze geschafft!!! Yuhuuu!!!
Fotos müssen leider warten, bis wir mehr Zeit haben. Aber ein Foto vom Handy darf euch nicht vorenthalten werden.
Der Ausgemusterte und der Kriegsdienstverweigerer ganz gierig am Gewehr!

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