Montag, 13. Oktober 2014

Spielvereinigung

Wir haben es endlich, am 12.10., nach 226 Tagen mit dem Fahrrad, von Berlin bis nach Peking geschafft und wurden dort herzlich von Freunden empfangen.
Die Räder sind abgeladen und werden so schnell nicht mehr bepackt. Vielmehr sind sie für den Rücktransport bereits auseinander genommen und in einem Karton verstaut.

Doch was ist seit der Mongolei passiert? Der Grenzübergang war hektisch, aber unproblematisch. Wir saßen größtenteils im "Taxi" zwischen unseren Fahrrädern eingeklemmt und waren glücklich irgendwann wieder alleine fahren zu dürfen. Dies nicht nur aufgrund der räumlichen Enge im Auto, sondern vor allem der außerhalb. Denn es wollten viele Menschen über die Grenze: "und wenn viele etwas wollen, was nur wenige bekomm', wird oft Gewalt zur Hilfe genomm' - und das bedeutet Krieg! [...] Krieg auf den Straßen." (Weisheit eines alten chinesischer Philosophens Namens Farinu). Ein Kämpfen um jeden Zentimeter. Stoßstangen an Stoßstange stieß man das vorausfahrende Auto vor, dem hinter einem liegenden Auto diente man als Prellbock und das neben einem stehend-fahrende Auto wurde ohne Rücksicht auf Blechschaden zur Seite gedrängt. Es erinnerte mehr an ein stock-car Rennen als an einen geregelten Grenzübergang. Ein Auto neben uns fuhr mit einem geplatzten Reifen gnadenlos weiter. Die Schadensursache ist nicht unwahrscheinlich auf ein Bremsmanöver à la Perez zurückzuführen. So fuhr die Frau am Steuer halt auf der Felge weiter - ohne Zeit und Muse ihren erkämpfen Platz Preis zu geben.
Doch unsere Räder und wir kamen unverbeult auf der chinesischen Seite an.
China! China bzw. Innere Mongolei...

Dann erkannten wir mal wieder den Widersinn der menschlich gezogenen Grenzen. Kein bisschen veränderte sich die Gobiwüste landschaftlich. Sie blieb wie wir sie kennen gelernt haben - "kalt, nass, gegenwindig und anstrengend hügelig". Keine positive Überraschung! Keine erfrischende Oase im brennenden Sonnenschein! Keine leicht bekleideten orientalischen Frauen, die uns das Wasser reichen könnten.
So ging es stur gerade aus, den Blick auf das Hinterrad des Vorausfahrenden, alternativ auf die Straße gerichtet. Erst allmählich und ohne klare Grenze veränderte sich die Landschaft, vom öde-steppigen zum schönen hin. Schöne Landschaften, nette Leute (die wir zwar ebenso wenig wie die Mongolen verstanden, aber wenigstens wurde ge-/belächelt und (aus)gelacht) und gutes Essen prägten dann unsere Zeit. Denn nicht mehr wir waren es, die für uns kochten, sondern wir bevorzugten es bekocht zu werden. Nicht wenige Gelegenheiten im Café/Restaurant zu essen ließen wir aus. Das Essen war nicht nur günstig und schmackhaft, sondern endlich auch simpel in vegetarischer Form zu erhalten. Für Mo galt es lediglich 4-5 Mal in unterschiedlicher Intonation 'Tofu' zu sagen und er erhielt ein Tofugericht. Auch für mich war es einfach: Ich brauchte lediglich auf eines der auf der Karte gelisteten Gerichte zeigen, den überraschten Blick der Bedienung über mich ergeben lassen und schon konnte auch ich mich auf eine Überraschung freuen. Nach der Überraschung folgte leider hin und wieder der Neid nicht auch einfach "Tofu" gesagt zu haben - keine Ahnung was ich alles in letzter Zeit gegessen habe, schlimmer als das Jurtengericht in der Mongolei von vor ca. einem Monat kann es nicht gewesen sein.

So toll China angefangen hat, gab es dann drei-vier Tage für uns nicht mehr viel zu sehen. Zwar deutete sich, wenn man über die Leitplanke blickte, eine beeindruckende Landschaft ab, doch verschwand diese im dichten Smog! Alle unsere Bemühungen in einem Schweiß-Haut-Gemisch die fehlenden Partikelfilter der Autos zu kompensieren, erschienen für uns als eine Investition für unbekannte, uns überdauernde Zeiten.
Schwarze Haut überall dort wo Helm oder Kleidung Luft an den Körper ließen, sodass wir am Ende des Tages nicht wussten, ob wir noch Lukas oder schon Jim waren! Und dass unsere Lunge nicht viel anders aussieht als Emmas Inneres nehme ich stark an. Es war zusammengefasst der dunkelste Abschnitt unserer Fahrt, den ich im Nachhinein auch gerne schwärzen würde.

Letztendlich waren unsere Bemühungen als Partikelfilter zu fungieren nicht gänzlich vergebens: Am Tag unserer Ankunft klarte der Himmel auf und wir fuhren die letzten 80km durchgehend Berg ab, durch eine beeindruckende Landschaft. Von über 400m ging es hinab auf rund 50m durch ein Gebirge, welches felsig zerklüftet und zugleich von bunt herbstlichen Pflanzen geschmückt war. Mit offenem Mund, die klare Luft der Autobahn einatmend fuhren wir gemächlich dahin und fühlten uns an die Tage im Altai erinnert.
Dann der Stadtverkehr zur Rush Hour in Peking war wieder eine spannungsgeladene Achterbahnfahrt im klassischen Russisch Roulette Stil. Am Ende war es gar nicht so schlimm. Denn "there are nine million bicycles in Beijing" und genügend Radstreifen vorhanden. Es war ein toller, dankenswerter letzter Radfahrtag.

Dann begann für uns in gewisser Weise in Peking ein neue Abschnitt. Ohne Verzögerung haben wir uns in das für uns so fremdlich anmutende Sightseeingprogramm geworfen und mit Bravour bestanden. Als Atom einer touristischen Menschenmassen haben wir das Gesehen was man wohl sehen muss, wenn man Peking gesehen haben will. Von dem touristischen Zirkus ist besonders eines Attraktion hervorzuheben: die chinesische Mauer! Es ist ein sehenswertes Bauwerk und darüber hinaus umgeben von einem ebenso beeindruckenden Panorama.
Und es ist wahr! Man kann von der chinesischen Mauer aus das All sehen!

Was jetzt noch folgt ist eine Städtereise. Zunächst fahren wir mit dem Zug bis zur Endstation Shanghai und von da aus arbeiten wir Etappenweise von Stadt zu Stadt wieder zurück nach Peking. Ehe wir in den Flieger nach Berlin steigen und in 8h die Distanz überwinden, die wir in die andere Richtung in 8 Monaten bewältigt haben.

"Alles geht vorbei nur die Wurst hat zwei."
Doch ist damit ein Kapitel abgeschlossen? Ist jetzt alles vorbei?
So digital-spektakulär unsere Reise hier nach Außen hin geschildert wurde, näherten wir uns ganz mühsam-analog unserer Endstation, sodass jede Überhöhung der Reise die eigentlichen Erlebnisse in ihrer Bedeutung für uns erniedrigte. So war der Ankunftstag ein normaler wie alle anderen - bis auf die kleine Glückseligkeit beim Bestellen im Restaurant bereits vor dem Servieren zu wissen, was man essen wird.
So ist Peking keine wirkliche Endstation. Vielmehr sollte man das Ganze anders verstehen. Wie ein westlicher Weise die weisen Worte in einer Art und Weise sprach, wie sie sonst nur ein chinesischer Philosoph zu formulieren wusste: "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!"

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